Unterschiedliche Einschätzungen
Haben Ukrainer eine Chance auf dem Arbeitsmarkt?

Über 90 Flüchtende aus der Ukraine sind mittlerweile in Liechtenstein angekommen. Seit vergangener Woche können sie um den Schutzstatus S ansuchen. Damit erhalten Ukrainer nicht nur ein Anrecht auf Unterkunft und medizinische Versorgung. Der Schutzstatus ermöglicht ihnen auch, einem Beruf nachzugehen. Somit können Ankommende rasch in den Arbeitsprozess eintreten. Bereits eine geflüchtete Person fragte beim Ausländer- und Passamt um Erlaubnis an, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dies teilte Markus Biedermann, Generalsekretär des Ministeriums für Inneres, Wirtschaft und Umwelt, auf Anfrage mit. Zwischenzeitlich habe die Person die Bewilligung erhalten. Damit stellt sich aber auch die grundsätzliche Frage: Wie stehen die Chancen für ukrainische Geflüchtete, eine Arbeitsstelle in Liechtenstein zu finden? Die Einschätzungen der Wirtschaftsverbänden fallen unterschiedlich aus.
Viele offene Stellen in unterschiedlichsten Branchen
Optimistisch zeigt sich Brigitte Haas, Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK). Angesichts der vielen offenen Stellen in den unterschiedlichsten Branchen – sei es im Lebensmittelbereich, in der Metallindustrie oder auch im Dienstleistungsbereich – sieht die LIHK «gute Chancen, dass LIHK-Mitgliedsunternehmen den nun im Land weilenden Ukrainerinnen und Ukrainern Stellen anbieten können», so die Einschätzung von Haas. Die Kammer habe auch Anfragen aus Mitgliedsunternehmen erhalten, wie sie vorgehen könnten, um den Ankommenden Arbeit anzubieten. Diesbezüglich stehe die LIHK bereits mit den zuständigen Behörden in Kontakt.
Angebote für Deutschkurse wären vorteilhaft
Für Walter Hagen, Präsident des Liechtensteiner Hotel- und Gastronomieverbands, steht fest: «Wir sollten alles unternehmen, damit unsere Mitmenschen aus der Ukraine möglichst schnell wieder in geordnete Lebensumstände finden, sprich einer Arbeit nachgehen können.» Dabei sei gerade die Hotellerie und Gastronomie eine der Branche, in der gelernte und ungelernte Fachkräfte grosse Chancen haben, eine Arbeitsstelle zu finden.
Zudem seien Ukrainer in der Regel gut ausgebildet, wie sie meist auch gutes Englisch sprechen. «Werden hier Deutschkurse angeboten, sind wir überzeugt, viele Ukrainerinnen und Ukrainer beschäftigen zu können», erklärt der Gastro-Präsident.
Unsichere Verweildauerals Hürde bei Stellensuche
Zurückhaltender äussert sich Jürgen Nigg, der Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Liechtenstein. Er gibt zu Bedenken: «Aufgrund der Tatsache, dass aktuell in der Ukraine eine Wehrpflicht ab 18 Jahren besteht, fallen nach meiner Ansicht viele Arbeitskräfte weg.» Heisst: Sie kommen gar nicht erst als Flüchtende, sondern stehen in der Ukraine im Kriegseinsatz.
Allerdings würde die Möglichkeit bestehen, jugendlichen Flüchtlingen eine zweijährige Anlehre anzubieten. In der Schweiz wurde dies bereits vergangene Woche angekündigt. «Ob auch hier ein Bedarf besteht, wissen wir per Stand heute nicht», erklärt Nigg. Die Wirtschaftskammer würde aber eine solche Option sicher unterstützen.
An Hürden bei der Integration in den Arbeitsmarkt nennt Nigg die Sprache und der ungewisse Zeitpunkt der Rückkehr. Diese Sicht teilt auch LIHK-Geschäftsführerin Brigitte Haas. Aufgrund vieler Aussagen von geflüchteten Ukrainern gehe die LIHK davon aus, dass der Grossteil möglichst bald wieder in die Heimat zurückkehren wolle. «Vielleicht könnte die unsichere Verweildauer bei einigen Unternehmen etwas Zurückhaltung auslösen», schliesst Haas
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