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Metropolitanraum Bodensee

«Die Schweiz ist in Winterthur zu Ende», so lautet eine erschreckend weit verbreitete Schweizer Redensart. Der ehemalige SRF-Bundeshauskorrespondent Hanspeter Trütsch bezeichnete die Ostschweizer Metropole im St. Galler Tagblatt kürzlich als «Gare Terminus mit Olma- und Bratwurst-Image», die mangels Gestaltungswillen im Schweizer Standortwettbewerb den Kürzeren ziehen werde.

Derart dramatisch ist die Situation glücklicherweise noch nicht. Dennoch sollte ein Blick auf die nackten Zahlen Anlass zur Besorgnis geben: Die Ostschweiz ist bei Investitionen des Bundes in die Verkehrsinfrastruktur in den letzten 26 Jahren klar ins Hintertrefen geraten. Von 36 Milliarden Franken Bundesgeldern fossen in diesem Zeitraum gerade einmal 2,7 Prozent ins Nationalstrassennetz der vier Kantone der Kernregion Ostschweiz (St. Gallen, beide Appenzell und Thurgau). Für die Bahninfrastruktur liegen keine vergleichbar präzisen Daten vor. Vieles deutet jedoch auf eine ähnliche Situation hin. Eine ernüchternde Bilanz zieht auch die Imagestudie der Regio Appenzell AR- St. Gallen-Bodensee: Sowohl Arbeits- als auch Wohnort werden von Nicht-Ostschweizern mit den Schulnoten 3.2 respektive 3.6 klar als ungenügend beurteilt.

Eine Begründung für das schlechte Abschneiden liegt nahe: Die Kantone St. Gallen, beide Appenzell und Teile des Thurgaus verkörpern zusammen mit dem Vorarlberg und dem Fürstentum Liechtenstein einen konsistenten und funktionalen Lebens- und Wirtschaftsraum, der in der Realität bislang zu wenig zur Geltung gekommen ist. Die am vergangenen Mittwoch länderübergreifend unterzeichnete Charta des Metropolitanraums Bodensee bietet eine besonders günstige Gelegenheit, diese Situation zu verbessern. Der entstehende Metropolitanraum Bodensee betont die zusammenhängenden Agglomerationen zwischen Wil, St. Gallen-Bodensee, Rheintal und Werdenberg-Liechtenstein und erfüllt alle Eigenschaften eines Metropolitanraums. Durch eine Anerkennung erhält diese bedeutende, internationale Bodenseeregion nicht nur ein stärkeres Gewicht im Raumkonzept Schweiz, sondern auch ein überregionales Planungsinstrument, mit welchem auch der grenzüberschreitenden Natur des Metropolitanraums als funktionalem Raum Rechnung getragen werden kann. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit bei konkreten Infrastrukturprojekten kann es gelingen, den gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsraum im Wettbewerb um Ansiedlungen, Investitionen und qualifzierte Arbeitskräfte gegenüber anderen Metropolitanräumen wie Zürich, Bern und Genf besser zu positionieren.

Die Menschen leben, arbeiten und bewegen sich längst über staatliche Grenzen hinweg, insbesondere über die «Grenze» zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein. Die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein pfegen traditionell ausgezeichnete Beziehungen. Mit dem Zollvertrag von 1923 wurde faktisch eine Zollunion mit ofener Grenze geschafen. Der Handelsverkehr mit der oder über die Schweiz wird nicht einmal mehr als Export ausgewiesen. Das erschwert einerseits die Erfassung der Handelsströme zwischen den beiden Ländern, hebt jedoch vor allem die starke wirtschaftliche Verfechtung zwischen den beiden Ländern hervor. Von den mehr als 37 000 Beschäftigen im Fürstentum sind über die Hälfte Grenzgängerinnen und Grenzgänger, wovon wiederum mehr als die Hälfte in der Schweiz ihren Wohnsitz haben. Die Bodenseeregion vermag, gemessen an der Bevölkerungszahl oder der Anzahl Beschäftigten, nicht gerade an einen klassischen grossstädtischen Handlungsraum im Stile Zürichs erinnern. Der Metropolitanraum Bodensee verkörpert vielmehr einen internationalen 30-MilliardenWirtschaftsraum mit einer ausgezeichneten Exportleistung, einer vorbildlichen Industrie sowie einem «softurbanen» Lebensraum mit höchster Lebensqualität für über 750 000 Menschen. Diese Zahlen sprechen auch für sich und zeigen, dass wir den Metropolitanraum Bodensee mit breiter Brust in die Zukunft führen können, sodass St. Gallen nicht als «Gare Terminus», sondern als Einfallstor in einen prosperierenden Wirtschafts- und Lebensraum zu verstehen ist.

Gastkommentar von: Alessandro Sgro Chefökonom IHK St. Gallen-Appenzell 

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